Sag, wirst du mild sein?
Wie wirst du kommen?
Wirst du kommen auf Schneefalkenschwingen,
falb wie der Mehltau, die Kielbrust
in Daunen verborgen, die der Ostwind,
der seidige Fechter, zu Frostmessern schliff?
Wirst du kommen auf Mammutschreitsäulen,
im zottigen Fell den Moschusduft noch
jener wesenden Welt, deren Odem am Morgen
die Gaumen der Schläfer entsetzt?
Wirst du kommen im Elfenbeinschlitten,
den die narbenbedeckte Elchkuh
Vergänglichkeit zieht: ein eulengesichtiges
Eskimoweib, in den Bluttran
nach außen gekehrter Robbenfelle gehüllt!
Wirst du kommen auf Sandsturmstelzen,
umheult von Hyänen, den Aasgeierkopf
aus dem verkarsteten Schultergebirge
herniederrecken zum Fraß, und im Auge
ein Feuer, das selbst Wüsten noch
in Lavafelder verwandelt?
Wirst du kommen auf Muschelpfahlstümpfen,
vor Krebspanzern klirrend, die Flossenfaust
saugend um die Sanduhrgurgel gepreßt,
daß der Hund ein Gesicht hat, die Magd sich
am Kreuz die Stirne zerschlägt und
der Nachbar einen Albatrosschatten
aufsteigen sieht über der bröckelnden Esse?
Wie wirst du kommen?
Auf Rädern, Tod, geschmückt mit Girlanden
wie die erste Eisenbahn kam, ein keuchender Gruß?
Wirst du ein Aluminiumpfeil sein, zielsicher,
mit pergamentenem Schaft, und im Sog
deines sirrenden Flugs Elektronenmusik?
Wirst du ein Stahlkoloß sein, tauüberhaucht,
der auf lautlosen Gleitketten rollt?
Wirst du als Lemmingheer kommen, hechelnd,
bereit, dich ins Blutmeer der Venen zu stürzen?
Wirst du als Drahtvogel kommen, reglos und
riesig, den rostig geäderten Rumpf mit dem Rauch
längst erloschener Vulkane gefüllt?
Wirst du aufgehen als Nordlichit?
Wirst du fallen als Ruß?
Sag: Wirst du mild sein?
Wird es dir möglich sein, die Gestalt
eines Rens anzunehmen, ruhig äsend
über die träumende Moossteppe der Seele
zu ziehen, ohne mit dem knackenden Huf
an die Schneehasenskelette zu rühren?
Kannst du, mein Tod, nicht kommen, umweht
vom Geruche blühender Linden, und summend
vor Bienen: ein dörrender Hauch, der am Abend
die Unterseite der Blätter verfärbt!
Kannst du nicht kommen als arktischer Frühling,
den Frost dieses Lebens hinwegtauen, daß,
was bleibt, wie ein Anger erblüht, mit
Wildgansketten und Schmelzwasserschmuck
überschüttet, und im flechtenbehangenen
Haar den silbernen Strandläuferpfiff?
Kannst du nicht kommen als lächelnde Viper,
den lavendlfarbenen Leib in stillen Spiralen
durch den glühenden Wüstensand bohren, zornlos
das Gift deines Bisses dem Fuß anvertrauen
und fortgehen: sanft, eine verwehende Welle im Staub?
Kannst du nicht kommen als lederner Fisch,
mit gelassenem Flossenschlag die
Brackwasser fader Gewöhnung zerteilen
und dich hinabsinken lassen, schwer, auf den Grund
aller Tage und mich das Aufsteigen lehren?
Kannst du nicht sein wie die Qualle,
verschleiert hergezuckt kommen, schräg
durch die Flut, das Bündel rosiger Arme
liebevoll um das taumelnde Treibgut geschlungen?
Sag: Wirst du mild sein?
Wird es dir möglich sein, den Umriß
eines Kranichs zu wählen, federnd dich
abzustoßen vom Sumpf der Verderbnis und sieghaft
hinaufzuziehen in den farblosen Lichtkern des Nichts?
Kannst du, mein Tod, nicht kommen als Einhorn,
unbeirrbaren Ganges mir den Fluchtpfad
bereiten durchs splitternde Bambusdickicht der Welt?
Kann dein Atem nicht Eisblumen hauchen
auf die lidlosen Augen, so zart ziseliert,
daß das Herz vor Entzücken zu schlagen vergißt?
Kann deine Stimme nicht sein wie das Gurren
der Taube mittags im Schlag: einschläfernd, süß,
den Marder verleugnend, den Habicht, nur
Zärtlichkeit, Werben und dumpfe Verzückungl
Kannst du nicht sein wie ein Schneefall?
Kannst du nicht aufgehn als Mond?
Sag: Wie wirst du kommen?
Ach, Tod, du wirst kommen, gesalbt
mit dem Grauen der Welt: blitzend
die verchromten Spinnbeine aufheben
über Spitalbetten, Fiebernden deinen
narkotisierenden Atem in die Angstträume
jagen, daß sie dich sehen als wölfischen Arzt.
Kommen wirst du, gebettet ins Schwirren
rötlicher Heuschreckenschwärme, blicken wirst du
aus Rohren schwarzer Geschütze, den Schächten
ertrunkener Untergrundbahnen, lauschen
mit Radartellern, die umkränzt sind
von Fledermausflaum, und singen
wirst du im sprühenden Lied der Raketen.
Ach, Tod, du wirst sein ein großes Erschrecken;
spreizen wirst du den Eidechsenflügel, geschüttelt
vom Dröhnen des Motorgehirns; sitzen wirst du
am beinernen Schaltbrett ferngesteuerter
Wolken, aufsteigen wirst du im Gaspilz,
dich hinlagern über die Himmel, niedergehen
in Asche und Anbetung heischen, umglänzt
von der Monstranz vergifteter Strahlen.
Umgehen wirst du, behängt
mit den fasernden Häuten Gehenkter;
paradieren wirst du im lautlosen Schritt
verstohlener Mörder; grüßen wirst du dein Volk
herab von Tränenthronen und Blutbalustraden
mit dem strahlenden Lachen des Fallbeils.
Ach, Tod, du wirst kommen, gekrönt
von den Feigheiten Gottes: Schlachtfelder
segnen mit krustiger Hand, die Fährte
deiner Vampirkralle dem Greis
ins Wangental brennen, Gebärenden
das hungrige Tiergebiß weisen; der Pest
die Schläfen kränzen mit Mohn,
hinabbeugen die schuldlose Grimasse deines
Frohlockens in den Lichtschacht des Lebens.
So wirst du kommen.
Nicht genug, dich zu fürchten;
es ist dein Ehrgeiz, auch gesehen zu werden:
Einmal von jedem; ob er die Kammer
mit Blöcken des Stumpfsinns sich füllt,
ob er sich eingräbt in staubiges Wissen,
fallen läßt aufs Strohlager der Liebe,
aufblickt lügenden Auges ins All
oder blind unterm Kopfputz des Glaubens
sich wiegt in erborgter Gewißheit.
Es gibt nur eine Gewißheit, mein Tod; und die
ist dein Kommen. So komm denn gemäß
den Gesichten, die der von dir hatte,
der dich im Zorne erschuf und nun geschlagen
mitansieht, wie du tötest, ohne zu hassen.
Komme, mein Tod, in all deinen Schrecken.
Da du sie aufwendest, weiß ich, daß die Kraft
dieses Lebens dich ängstigt.