Esterházy Péter: Egy nő
Egy nő (Magyar)
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Eine Frau (Német)Es gibt eine Frau. Sie liebt mich. Meiner Meinung nach ist sie eine Finnin. Anfangs sagten wir einander sogar, daß wir Verwandte seien. Seid Ihr ebenfalls finno-ugrisch? Gegenseitig versuchen wir nationale Eigenarten in dem anderen zu entdecken. Ich kenne die finnische Geschichte leider nicht, nicht im entferntesten genau (die wichtigsten Bodenschätze sind: Chrom, Titan, Kobalt, Vanadium, Kupfer, Zinn, Nickel), ich kenne nur die allgemeinen »nordischen« Bilder, und in solchen Gemeinplätzen suche ich Ansatzpunkte. Ich versuche, die Finnin in eine andere Umgebung zu versetzen, in ein nationales Klischee, doch das gelingt mir nicht, weil ihre Umgebung in Wirklichkeit mein Körper ist. Nicht ihre Heimat ist ihre Heimat, sondern mein Körper. Daher taucht vor meinen Augen, wenn ich sie heimlich beobachte, nicht die finnische Seenplatte auf und die wasserreichen, hinabstürzenden Flüsse, vielmehr bin ich es, den ich sehe, mich selbst sehe ich, meine Schenkel, die man getrost muskulös nennen darf, ein anderes Mal sehe ich die angespannten Aftermuskeln, die Hinterbacken, meine feuchten Lippen oder meinen Finger. Seit Jahren hatte sie beharrlich geleugnet, daß es ihr mit mir auch so ergeht. Allerdings hat sie dann während eines wilden und heftigen Streites ausgepackt. Ich schaue dich an und sehe nichts als meine Möse! schrie sie, im Schatten meiner Möse sehe ich dich! Ich mag es nicht, wenn sie so spricht, mag es nicht, wenn sie unsere Körper unüberlegt beim Namen nennt. Sie hingegen kann mein Schweigen nicht ertragen. Jetzt schweigst du dich über deinen Schwanz aus, so entlarvt sie mich. Und jetzt über meinen Arsch. Ist es denn nicht egal?! Meiner Meinung nach ist es nicht egal, aber ich schweige, was könnte ich schon sagen? Daß sie zu den Körpern, zu ihrem und zu meinem Körper, genau so steht wie ich, ist um so überraschender, als sie sich ihrerseits in den ungarischen Angelegenheiten sehr wohl auskennt. Sie hat eine sehr persönliche Meinung von der Schlacht zu Vezekény (»die weder so unbedeutend noch so überflüssig war, wie sie im ersten Augenblick erscheinen mag«), mit der Wendung »die Methode nach János Drágffy« kann sie umgehen (Drágffy ritt nämlich mit der Fahne in der Hand und ohne Sporen in den sicheren Tod), sie kennt auch die Anekdoten um Deák und Imre Nagys Reformen von 1953, sie weiß, wer bei dem kleinen und wer bei dem sogenannt großen Schriftstellerprozeß verurteilt wurde, und in den unterschiedlichen Tendenzen des Ungarischen Demokratischen Forums kennt sie sich ebenfalls aus. Die sich häufenden und, wozu leugnen, derber gewordenen Streitigkeiten, die nicht selten zu gegenseitigen Tätlichkeiten verkümmert sind, ich habe sie meistens geschüttelt, es kam auch vor, daß ich sie dabei am Hals packte, das könnte man auch schon als Würgen bezeichnen, sie warf eher um sich, nicht nur mit Büchern und Kunststoffaschenbechern, sondern auch mit Bildern, die sie von der Wand gerissen hatte, oder ganz traditionell mit Vasen oder, gewissermaßen überraschend, mit dem Fleischwolf, und es kam vor, daß sie das Besteck vom gedeckten Tisch nahm und mir entgegenwarf, und Messer waren, da wir Wiener Schnitzel essen wollten, auch dabei, man hätte dieses Ereignis auch eine Messerstecherei nennen können, ich glaube, unsere Streitigkeiten standen nicht im Zusammenhang mit unseren gemeinsamen finno-ugrischen Wurzeln. Oder doch? Ging es um den Schrecken der gemeinsam verbrachten Zeit? Gemeinsam waren wir umhergestreift, hatten gejagt, die Herden gehütet, wir beteten dieselben Götter an. Ging es um den Schrecken des Erkennens? Immerhin kennt sie sogar mein Schweigen! Vielleicht bin ich sogar der, von dem sie träumt ... oder ich träume von ihr... Wozu braucht man eine solche Nähe? Was nützt ein solch kläglicher Spiegel? Ich weiß, was du denkst! schmetterte sie mir schrill entgegen, daß es nämlich besser wäre, für uns beide besser wäre, wenn ich der liebe Gott wäre. Das denkst du. Aber glaub nur nicht, daß du besser bist als ich. Du bist nicht besser. Bestimmt nicht, ich nämlich denke dasselbe von dir, daß es besser wäre, für uns beide besser wäre, wenn du... Die Lage hatte sich erst nach der verfluchten Schlacht von Vezekény so zugespitzt, wir sprachen vergebens, schwiegen vergebens, wir gingen im Kreis herum, in einem Ring. Manchmal lohnt es sich nicht, zwischen Haß und Liebe zu unterscheiden, habe ich gelesen; mir widerstreben solche Sätze, und trotzdem mag von so etwas die Rede gewesen sein: Eine innere Bewegung war in Bewegung geraten, und man konnte im voraus nicht wissen, wo sie plötzlich auftauchen würde. Kein Einfluß half, keine Hoffnung. Damals schliefen wir auch anders miteinander: öfter und erschrocken. Einmal habe ich meinem Vater davon erzählt, beziehungsweise habe ich ihn gefragt, wie nordische Frauen seien. Ablehnend zuckte er die Schultern, was weiß ich, sagte er. Aber er bat mich in sein Zimmer, das ich schon lange nicht mehr betreten hatte, stumm zeigte er mir ein Bild, das ich als Kind in einem anderen dunklen oder eher dämmrigen Zimmer in einer anderen Wohnung oft gesehen hatte, es war ein schweres, ungeschlachtes Ölgemälde, in einem verzierten, betont selbstsicheren Rahmen des 19. Jahrhunderts. Auf dem Bild waren norwegische Fischerinnen am Meeresufer dargestellt, am Fischmarkt, es wehte ein Wind, und es flutete ein merkwürdiges Licht, ein weder dunkles noch helles noch graues Licht. Dunkel und hell und grau und leuchtend, ein leuchtendes Dunkel, lichte Dämmerung, ewiger Aufbruch von einem abendlichen Morgen. Ich betrachtete das Bild, und mein Vater betrachtete mich. Die Fischerweiber trugen Holzschuhe und schleuderten heiter und entschlossen Fische herum. Sie alle waren für mich wie diese finnische Frau. Und sie wiegten sich mit einer unbeschreiblichen Kraft und Leichtigkeit in den Hüften, mit einer schweren Lebhaftigkeit, sie waren Mädchen und Frauen zugleich, schwere Lasttiere und Elfen des Nordens mit sehr guten anständigen Hüften, die zur Arbeit und zum Körper gehörten. Ich habe mich von meinem Vater verabschiedet, und von da an habe ich die Finnin in diesem Rahmen angesiedelt, hier habe ich sie lokalisiert, diese vielen schweren und schlanken Frauen sind ihre Umgebung geworden, und wenn ich sie anblicke, muß ich mich nicht mehr selbst sehen, weder meine Schenkel noch die angespannten Aftermuskeln, die Hinterbacken, meine feuchten Lippen oder meinen Finger, und ich muß auch nicht denken, daß es besser wäre, für uns beide besser wäre, wenn sie... Ich spreche es lieber nicht aus, besser, wir fragen einander neckend, wie zwei Verwandte: Seid Ihr finno-ugrisch?
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